Gedichte



von Orhan Veli


Ich lausche Istanbul, die Augen geschlossen.
Erst weht ein leichter Wind,
ganz leise bewegen sich die Blätter an den Bäumen;
weit, ganz weit in der Ferne
das unaufhörliche Klingeln der Wasserverkäufer.
Ich lausche Istanbul, die Augen geschlossen.

Ich lausche Istanbul, die Augen geschlossen.
Vögel fliegen vorbei
hoch oben, in Scharen, kreischend;
an den Fischplätzen werden die Netze eingezogen;
die Füße einer Frau berühren das Wasser.
Ich lausche Istanbul, die Augen geschlossen.

Ich lausche Istanbul, die Augen geschlossen.
Der kühle Kapali Carsi;
das lebhafte Treiben im Mahmutpasa-Viertel;
die Höfe voller Tauben.
Von den Docks kommt ein hämmerndes Geräusch;
im schönen Frühlingswind der Duft von Schweiß.
Ich lausche Istanbul, die Augen geschlossen.

Ich lausche Istanbul, die Augen geschlossen,
im Kopf den Taumel vergangener Vergnügungen,
ein Sommerhaus mit halbdunklen Bootshäusern;
das Rauschen der Südwinde legt sich.
Ich lausche Istanbul, die Augen geschlossen.

Ich lausche Istanbul, die Augen geschlossen.
Ein hübsches Mädchen geht auf dem Gehsteig vorbei,
Flüche, Lieder, Rufe tönen hinter ihr her;
etwas fällt ihr aus der Hand und auf den Boden -
es muß eine Rose sein.
Ich lausche Istanbul, die Augen geschlossen.

Ich lausche Istanbul, die Augen geschlossen.
Ein Vogel flattert an Deinen Hängen.
Ich spüre, ob Deine Stirn heiß ist oder nicht,
ich spüre, ob Deine Lippen feucht sind oder nicht.
Weiß geht der Mond hinter den Nußbäumen auf -
ich merke es an Deinem Herzschlag.
Ich lausche Istanbul.

von Nazim Hikmet


Im Galopp aus dem fernen Asien kommend,
reckt es sich wie ein Stutenkopf ins Mittelmeer:
Das ist unser Land.
Handgelenke blutig, Zähne verkeilt, Füße nackt,
und die Erde ein seidener Teppich:
das ist unsere Hölle, unser Himmel.
Die Werktore der Fremde sollen zugehen und nie mehr auf,
daß die Knechtung von Menschen durch Menschen endet:
Das ist unsere Einladung.
Leben ! Jeder einzeln und frei wie ein Baum
und alle brüderlich wie ein Wald,
das ist unsere Sehnsucht.


 
  von Nazim Hikmet
Hundert Jahre ist es her seit ich nicht mehr in dein Gesicht sah
deine Taille nicht mehr umschlang
nicht mehr in Deinem Auge stand
an deinen klaren Verstand keine Fragen mehr stellte
nicht mehr die Wärme deines Bauchs spürte.
Seit hundert Jahren erwartet mich in einer Stadt eine Frau.
Wir saßen auf demselben Ast auf demselben.
wir stürzten vom selben Ast und trennten uns
zwischen uns ein Zeitraum von hundert Jahren
von hundert Jahren ein Weg.
Seit hundert Jahren laufe ich im Halbdunkel
ihr hinterher.

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von Nazim Hikmet

Ein Dichter reist
auf einem Meer dieser Erde,
den Blick auf einen Stern gerichtet.

Einer der Dichter reist
auf einem Meer eines der Sterne,
den Blick auf unsere Erde gerichtet.

Die Dichter reisen
auf den Meeren des Kosmos,
den Blick aufeinander gerichtet.


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