Ein Thread aus dem Forum, der nicht nur das "Dilemma" von Martina zeigt, dass man eigentlich immer gerade woanders ist, als man sein möchte...


"Der Sehnsucht nach dem Anderswo
kannst Du wohl nie entrinnen:
nach Drinnen, wenn Du draussen bist,
nach draussen, wenn Du drinnen..."

 

Manchmal wünsche ich mir.... von Martina

...dass ich meinen Mann nicht in der Türkei, 2500 km von zuhause, kennengelernt hätte, sondern im Nachbarkaff oder sonstwo um die Ecke...

Das Leben ist manchmal seltsam halbiert, wenn man einen Partner aus einem anderen Land hat - irgendwas fehlt immer, nie ist es "perfekt"... sind wir in Deutschland, fehlt uns die Familie meines Mannes, die Feste um den Ramazan, das Meer, die Sonne, das "easy going" im Süden, unsere Freunde, die wir in Alanya zurückgelassen haben... Kleinigkeiten wie das immer frische Obst und Gemüse, die Gewürze, die den Geschmack der türkischen Küche ausmachen...
Unser Lieblingsrestaurant hoch auf dem Burgberg, wo man nachts draussen sitzen kann und einen weiten blick auf das nachtschwarze Meer, die dunklen Berge und den hellerleuchteten Hafen von Alanya hat, einen Raki vor sich (und Moskitos an den Beinen...)
Der Dimcay mit seinem eisigklaren, türkisblaugrün schimmernden Wasser, auf einer Matratze gelümmelt, die auf einem Cardak liegt, der leise schaukelnd auf dem Fluss vor sich hin dümpelt....

Hier in der Türkei fehlt mir meine Familie, die vielen Feste im Sommer, die Freunde, die wir in Deutschland zurückgelassen haben...
Auch ein bisschen die "Deutsche Gründlichkeit und Ordnung" in Behörden, die soziale Sicherheit.
Die lange Dämmerung im Sommer, wenn das Licht nicht nur langsam zu verblassen scheint, sondern diesen blauen Schimmer annimmt, der der "Blauen Stunde" ihren Namen gegeben hat....
Strassenfeste! Sitzen unter uralten Bäumen, einen Schoppen guten Rheingauer Wein vor sich, Spundekäs und Brezel....
ein alter Hof, buckliges Kopfsteinpflaster, eine Jazzband und einen feinen Roten...
Dorffeste, wo man immer die trifft, die man immer trifft...
Kultur, Theater, Musik!

Irgendwas fehlt immer in so einem zweigeteilten Leben, von irgendjemand und irgendwas muss man immer Abschied nehmen, und jedes Mal tut es gleich weh: man gewöhnt sich nicht daran.
Meistens ist es eine Bereicherung, manchmal eine Belastung, manchmal verwirrend - wo gehört man hin?

Für das Wort HEIMAT gibt es keine Mehrzahl - warum wohl?

heim kommst Du nie...... geschrieben von RalfAntalya 20.07.03 - 02:46:02

ich weiss nicht, wer es gesagt hat, es klingt nach Herrmann Hesse....

"Heim kommst du nie, aber wo befreundete Wege eine Zeitlang miteinander laufen, da sieht die Welt für eine Zeit wie die Heimat aus"... Ich denke dieser Spruch trifft für alle zu, die einige (oder ein einziges) Male ihre Lebensumgebung gewechselt haben???

Aber wie Du weisst, verlieren wir ein Stückchen, werden aber auch gleichzeitig um eine ganze Menge an Erfahrungen bereichert!?

Liebe Grüsse aus Antalya
ralf

RE:Manchmal wünsche ich mir..... geschrieben von Doro 22.07.03 - 11:55:18


Hallo Martina,
Dein Beitrag spricht mir total aus der Seele und ich kann Dich nur zu gut verstehen. Im Moment ist es bei mir zwar nicht ganz so extrem, denn von meiner "alten" Heimat trennen mich "nur" 550 km und ich bin auch immer noch in Deutschland. Troztdem fehlen einem die Familie, die "alten" Freunde usw., man kann sich nicht
einfach mal auf einen Kaffee treffen oder so. Jetzt habe ich vor 1,5 Jahren in der Türkei meine 2. neue Heimat gefunden. Ich fühle mich unheimlich wohl, wenn ich da bin, aber ich komme auch gern wieder nach "Hause" zurück. Ich habe noch keine Ahnung, wie es einmal weiter geht. Es ist immer dieses Gefühl der inneren Zerissenheit....
So das wollte ich mir einfach mal von der Seele schreiben! Ich wünsche Euch allen noch einen schönen Tag!
Liebe Grüße Doro


RE:Manchmal wünsche ich mir..... geschrieben von KarinG 22.07.03 - 12:58:40

Merhaba Martina,
du bringst es auf den Punkt. Ähnliche Gefühle haben wohl alle Menschen mit mehr als einer Heimat.
"Wenn du nicht selbst in dir zu Hause bist, bist du nirgendwo zu Haus", sang mal André Heller und auch der alte Goethe hatte zwei Seelen in seiner Brust.
Ich genieße zur Zeit den fast türkisch heißen deutschen Sommer, Straußwirtschaften, kühlen Rheinwein, Schwimmen im Rhein - und vermisse das Mittelmeer ...
Selam - Karin

und wenn man nicht aufpasst... geschrieben von Martina*Webmaster 23.07.03 - 09:53:16

dann fährt es sich ein nach der Devise: "dort wo Du nicht bist, da ist das Glück"... nicht dass es mir so geht, solange ich mit meinem Mann und meinem Kind zusammen bin, dann bin ich "dort, wo das Glück ist" (mein Gott, wie geschwollen das klingt!!!) aber ich kenne gerade in Alanya sehr viele deutsche Frauen, die teilweise seit Jahren hier leben und krampfhaft versuchen, sich eine 2. Ersatzheimat Deutschland hier aufzubauen - und das, obwohl sie grösstenteils perfekt türkisch sprechen (weitaus besser als ich!) Sie gehen ins deutsche Restaurant, essen deutschen Kuchen und kaufen zu horrenden Preisen "deutsch" ein.

Aber funktioniert das? Viele gehen nach ein paar Jahren resgniert wieder zurück in "die alte Heimat" - und vermissen dort die Türkei.

Scheint doch so zu sein: "dort, wo Du nicht bist, da ist das Glück"...

RE:Manchmal wünsche ich mir..... geschrieben von Angie-Webmaster 23.07.03 - 14:25:50

Hallo Martina und alle,
mir machen die Abflüge am meisten zu schaffen - freut man sich doch, wieder in das andere Land zu kommen und möchte doch am Flughafen am liebsten umkehren. Zudem ich nicht gerne fliege ;-).
Am schlimmsten ist es, wenn ich in Deutschland nach der Passkontrolle Richtung Gate gehe und meine Eltern immer kleiner und kleiner werden, wenn ich mich umdrehe.

Dann Marmaris, wo all das ist, was ein echtes Zuhause ausmacht und wo wir doch nur partiell sein können. Morgens aufstehen mit dem Blick auf die glitzernde Bucht wie von 1.000den Brillianten überzogen. Der Garten mit den schönen mediterranen Pflanzen. Das urige Restaurant am Meer, wo man so schön tagsüber schwimmen und abends essen kann.

Und schliesslich Istanbul, was unser eigentliches Zuhause sein sollte und wo wir uns doch vieles erst noch aufbauen müssen, was ein Zuhause ausmacht. Beim besten Willen kann ich nicht sagen, wo ich eigentlich lebe. Und ich habe Abschiede hassen gelernt. Ein Stück von dir bleibt immer dort, von wo du fortgehst.

Trotz allem bleibt das Leben zwischen den Laendern eine Bereicherung. In der "neuen Heimat" siehst du Dinge, die ein Urlauber nicht wahrnimmt bzw. garnicht wahrnehmen kann. Und in der alten Heimat lernst du die Dinge zu schaetzen, die früher eine Selbstverstaendlichkeit waren.

Grüsse an alle anderen "Pendler" zwischen 2 Laendern

Die Kunst ist,... geschrieben von Angie-Webmaster 23.07.03 - 14:47:38


.....sich aus beiden Laendern das Positive herauszupicken. Und einen Mittelweg zwischen türkischem und deutschem Leben zu finden. Wer in der Türkei nur in einer deutschen "Kunstwelt" lebt, wird es nicht schaffen. Und wer sein alte Heimat völlig verdraengt, vermutlich ebensowenig.

Es soll auch Menschen geben, die IMMER nur das wollen, was sie gerade nicht haben können.

Grüsse nach Alanya

Angie

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