Eine andere Welt

von Martina
ein Beitrag aus dem alten Forum

 

Gestern nacht sind wir von unserer kurz entschlossenen "Flucht" in die Yayla zurück gekommen, ich kann Euch nur sagen, es war HERRLICH!!!!!!
Diese Stille, der weite, blaue Himmel und diese ewig weite Bergsteppe... wenn man lange genug auf die Berghänge schaut, wird einem schwindlig, weil das Auge keine Fixpunkt hat und der Blick immer weiter und weiter entlang dieser Hügel und Berge geht.... die klaren, eiskalten Nächte - ich hab noch nie soviele Sterne gesehen und den "Abendstern" noch nie so hell und gross... und diese Luft, die so sauber ist, dass sie besoffen macht!

Wenn man die asphaltierte Strasse verlässt, ist alles ganz anders... die Piste wird schmaler und kurviger, die Felsen immer schroffer und abweisender.... und man biegt um eine Ecke und steht zwischen Hunderten dieser stolzen, langhaarigen Ziegen, die ganz gemächlich dem Jeep Platz machen, als wollten sie sagen "Hier ist unser Reich, hier geht alles nach unserem Tempo".... Irgendwann erreicht man die Hochebene. Wenn man die staubige Piste entlangfährt, kann man sich nicht vorstellen, dass sie IRGENDWOHIN führt... oder dass man IRGENDWOHER kommt - es ist fast wie ein Fahren im dichten Nebel: man fährt und fährt und scheint doch nicht vom Fleck zu kommen, so unendlich ist diese Steppe.

Die Landschaft scheint tot zu sein, da oberhalb der Baumgrenze - aber wenn man lange genug schaut, sieht man in den Grundwasserteichen Unmengen von kleinen Fröschen, zwischen den polsterartigen Büschen Vögel, Murmeltiere und Eidechsen.... ganz weit hinten ziehen wilde Esel oder Ziegenherden mit ihren Hirten vorbei...

Kein menschliches Wesen kann hier leben, so glaubt man... und doch sind diese Hügel und Berge voller Geschichten, skurriler, manchmal trauriger Zeugen aus einer anderen Zeit. Da ist der gut 30 Meter hohe steile Felsen, an dessen Fuss die Frauen früher ihre Wäsche gewaschen haben sollen, bis eine vor Wut über die nie endende Arbeit das Waschbrett weit über den Felsen warf... heute hält jeder Mann an diesem Felsen, um einen Stein darüber zu schleudern - was den wenigsten gelingt (die Frau muss wirklich sauer gewesen sein...)oder die Treppe aus Stein, die ins Nichts führt - hier soll ein Halbmond mit Stern gestanden haben, aus dem Fels gehauen. Ein habgieriger Schäfer hat den Felsen mit Dynamit in die Luft gesprengt, weil er einen Schatz darunter vermutete (ob er einen fand, ist nicht überliefert) Oder der Friedhof der Mädchen, auf dem nur die Mädchen (alle Mädchen!) eines Dorfes begraben liegen, die auf dem Weg zur Schule im Bus alle im meterhohen Schnee umkamen...

Kaum hat man sich an diese Leere gewöhnt, da tauchen grüne Flecken auf, sorgsam gehegte Gärten mit Gemüse, ein paar Bäumen und hier und da als Farbtupfer kleine rote Blüten an niedrigen Büschen. Dazwischen Häuschen aus Stein, fröhliche, schmutzige und rotbackige Kinder, die die Freiheit der langen Ferien meist bei Oma und Opa "auf der Yayla" in vollen Zügen geniessen - und natürlich auch die Tatsache, dass mit Wasser eher gespart werden muss ;-)).

Hier gibt es keinen Strom, kein Telefon und keine Wasserleitung. Nach nur einer Nacht scheint die Welt merkwürdig irrelevant, alles dreht sich nur um sich selbst, um Essen und Trinken, um Schlafen und um die Unterhaltung mit den Nachbarn. Hier geht das Leben gemächlich seinen Gang, kaum verändert seit ewigen Zeiten. Danach ist man erholt, körperlich, seelisch und geistig - kaum zu glauben, wie erholsam "Erlebnisarmut" sein kann... man muss nur eines können: mit sich selbst alleine sein. Länger als 3 Tage habe ich mich das allerdings auch noch nicht getraut.....

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